Kurzsichtiger Umgang mit Atommüll - Würgassen als Beispiel
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Montag, 15. März 2021 10:46
Würgassen (red). Die Bürgerinitiative „Atomfreies 3-Ländereck e.V.“ will in dieser Pressemitteilung aufzeigen, wie die aktuellen Ereignisse rund um den Rückbau des ersten kommerziell genutzten Reaktors in Deutschland exemplarisch für den hilflosen und kurzsichtigen Umgang mit Atommüll im gesamten Bundesgebiet stehen.
Ein Prestigeprojekt sollte er werden, der erste Rückbau eines kommerziell genutzten Reaktors in Deutschland. Die Rede ist vom Kernkraftwerk Würgassen, einem Siedewasserreaktor mit 640MW elektrischer Leistung. Erklärtes Ziel: Der vollständige Anlagenrückbau hin zur „grünen Wiese“. Hierdurch sollte die vermeintlich saubere Kernenergie belegt und die mögliche Reversibilität dieser Art der Energiegewinnung aufgezeigt werden. Doch auch 2021, sieben Jahre nach dem als für beendet erklärten Rückbau des AKW Würgassen, existiert immer noch kein schlüssiges Konzept zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Schlimmer noch, das Ziel der grünen Wiese scheint weiter entfernt denn je.
Störend ragt das circa 65 Meter hohe Reaktorgebäude gen Himmel. Ein Abriss der längst leergeräumten, freigemessenen und dem Atomrecht entzogenen Gebäudeteile des ehemaligen AKWs Würgassen ist nach wie vor nicht möglich. Der Grund: Am Standort lagern in Obhut der PreussenElektra nach wie vor ca. 3000 Gebinde mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall, im UNS-Gebäude, einem Gebäudeteil unmittelbar am alten Reaktorgebäude. Diese werden aktuell in der im Jahr 2020 eigens hierfür errichteten Konditionierungsanlage im Bereich der ehemaligen Metallwerkstatt des KWW (Kraftwerk Würgassen) endlagerfähig verpackt. Nur bietet sich dort kein Platz um die Container, welche in ferner Zukunft dem Endlager Konrad zugeführt werden sollen, zwischenzulagern. Die auf dem Gelände befindliche Transportbereitstellungshalle (TBH), welche im Rahmen des Anlagenrückbaus genau wie das UNS-Gebäude zu einem Zwischenlager umfunktioniert wurde, ist mit Wirkung zum 1. Januar 2020 an die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) übergeben worden und nahezu vollständig mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall gefüllt. Das UNS-Gebäude wiederum, welches die PreussenElektra nach wie vor ihr Eigentum nennt, kann die endlagerfähig verpackten Container nicht aufnehmen. Jedoch müssen die Abfälle weichen um die Reste des ehemaligen AKWs dem Landschaftsbild entziehen zu können.
Die Lösung des Problems sieht die Tochtergeselschaft der E.ON SE darin, den viertausend Tonnen schweren Strahlenschrott per LKW in das 260 Kilometer entfernte Grafenrheinfeld in Bayern zu transportieren. Insgesamt kommen hierdurch circa 100.000 Transportkilometer zustande. Jeder Einzelne geht dabei mit der Gefahr von Transportunfällen, Kosten, Emissionen und Strahlenexposition mit Wirkung auf Mensch und Umwelt einher. Dies alles, um den gesamten Müll ab 2027 erneut von Bayern zurück nach Würgassen zu bringen. Denn, geht es nach dem Willen des BMU und der BGZ, wird man das ehemalige Kraftwerksgelände im abgelegenen kleinen Ort an der Weser für 450 Millionen Euro zum zentralen Umschlagplatz für sämtliche schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus ganz Deutschland ausbauen. Der aus Bayern zurücktransportierte Atommüll würde im geplanten zentralen Bereitstellungslager, oder „Logistikzentrum Konrad“ wie die BGZ es nennt, weitere Jahre zwischengelagert, in der Hoffnung diesen im Anschluss in das Endlager Konrad bei Salzgitter transportieren zu können. Doch es gibt Widerstand gegen die von NRW nach Bayern geplanten Transporte. Neben den Grünen protestieren auch die CSU-Kreisverbände Schweinfurt Stadt und Land vehement gegen den drohenden Atommülltourismus. "Es ist nicht nachvollziehbar, warum dieser Atommüll ausgerechnet nach Grafenrheinfeld und damit über 260 Kilometer durch Deutschland transportiert werden soll (...)“, heißt es in einer aktuellen Mitteilung der CSU.
Genau hierbei zeigt sich eine abstruse Situation, welche sich demnächst bundesweit an vielen Zwischenlagerstandorten ergeben wird: Mangels Lagerkapazität und mangels Willen die dezentralen Lagerstätten zu ertüchtigen, wird der Atomschrott stattdessen über hunderte von Kilometern hin- und hertransportiert. Setzen sich das BMU und die BGZ mit ihren Plänen durch, wird dieser Atommülltourismus zukünftig weiter ausgebaut: Kommt das ZBL/LoK, rollt das radioaktive Gefahrgut von den circa 37 im gesamten Bundesgebiet verteilten Zwischenlagerstandorten zunächst zum ZBL/LoK nach Würgassen, um von dort aus nach einiger Zeit zum Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter transportiert zu werden. Insgesamt sollen über drei Jahrzehnte 303.000 Kubikmeter Strahlenschrott angefahren, zwischengelagert und zum Endlager abtransportiert werden. Längst vergessen scheint dabei die 2002 im Planfeststellungsbeschluss Konrad vorgesehene „just in time“-Anlieferung direkt aus den dezentralen Lagerstätten. Der Grund: Die Abfallverursacher haben es in den letzten Jahrzehnten versäumt für Ordnung in ihren Lagern zu sorgen. Hätten die Verantwortlichen den seit mehr als zwanzig Jahren bekannten und unveränderten Kriterien für die Endlagerung mehr Beachtung geschenkt, wäre das aktuelle Problem nicht existent.
Nun könnte man meinen, dass alle Beteiligten aus der Vergangenheit gelernt und ihre Lehren gezogen hätten. Doch anstatt die notwendigen und längst überfälligen Veränderungen in den einzelnen Zwischenlagern herbeizuführen, verfällt das BMU und die BGZ in eine Art von zentralen Gigantismus. Dabei wird der Versuch unternommen den Menschen im Land ein neuerliches Bundeszwischenlager mit enormer Kapazität als „Logistikzentrum“ zu verkaufen.
Foto: tku