Deutsch lernen an der Werkbank: Gebrüder Becker ermöglicht vier Mitarbeitern innovativen Vollzeit-Sprachkurs mit Praxisanteil
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- Kategorie: Wirtschaft
- Veröffentlicht: Freitag, 21. August 2020 10:15
Holzminden (red). Löten, schweißen, sägen, bohren – und dabei die deutschen Fachbegriffe der Metallbearbeitung einschließlich der Werkzeuge lernen und verinnerlichen: Diesen innovativen praktischen Ansatz hat ein zweimonatiger berufsorientierter Vollzeit-Sprachkurs, den die Firma Gebrüder Becker vier Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit Höxter ermöglicht.
Beim Weiterbildungsträger SBH (Stiftung Bildung und Handwerk) in Holzminden drücken Sebastian Wiktor Siniarski (45) aus Polen, Samuele Sandri (38) aus Italien, Oleg Kosterin (54) aus Russland und Mohammad Ali Nabhani (39) aus dem Irak gemeinsam die Schulbank. Frontalunterricht ist aber nur ein Teil dieses Sprachkurses. Die vier Handwerker verlassen im Tagesverlauf immer wieder den Unterrichtsraum und gehen in die angeschlossene Werkstatt, um dort unter Anleitung des Ausbilders Matthias Ebeling für handwerkliche Arbeiten die Ärmel hochzukrempeln und vor dem Schweißen beispielsweise das Rückschlagventil der Gasflasche nicht nur zu betätigen, sondern auch beim gerade erlernten deutschen Namen zu nennen.
Der 50-prozentige Praxisanteil und auch die theoretischen Lerninhalte sind auf die Bedürfnisse von Gebrüder Becker – dem heimischen Familienunternehmen für die gesamte technische Gebäudeausrüstung mit Standorten in Höxter, Holzminden und Kassel –und auf die Bedürfnisse des allgemeinen Arbeitsmarktes zugeschnitten. Der Einbau verschiedener Heizungsanlagen samt Bauteilen, Werkzeug, Technik und Material ist ebenso Thema wie die Klimatechnik, die zum Portfolio des inhabergeführten Handwerksbetriebes gehört. Die vier Sprachschüler sollen sich nach dem Vollzeit-Intensivkurs dank des neu erworbenen Rüstzeugs auf den Baustellen und auch im Kundengespräch sowie im Austausch mit Kollegen sicherer bewegen können. Dazu sind sie auf einem guten Weg, wie Kursteilnehmer Sebastian Wiktor Siniarski nach den ersten Unterrichtstagen zuversichtlich einschätzte: „Wir verstehen technische Bezeichnungen jetzt schon besser“, resümierte er. Diesen Eindruck bestätigte Samuele Sandri. „Mit geht es genauso“, sagte er. Beide Männer finden den Kurs interessant und haben schon eine ganze Reihe Vokabeln zum Lernen für zuhause mitgeschrieben. Die Liste mit Fachtermini wird nach den zwei Monaten lang sein.
Deutschlehrer Rainer Ahlers hatte ebenso wie Matthias Ebeling zu Beginn des Lehrgangs den Eindruck, dass die vier Mitarbeiter Unterhaltungen in deutscher Sprache gut folgen können. „Es fehlt ihnen allerdings an der Kenntnis der Fachausdrücke.“ Diese üben sie – was ihnen als gestandene Praktiker sicher entgegenkommt – an ihrem konkreten Arbeitsalltag orientiert, indem sie beispielsweise bei einem Heizungskessel die Bauteile benennen und zuordnen oder auch Kundengespräche und die Verständigung mit Kollegen auf einer Baustelle simulieren. „Dieser Praxisbezug ist uns ein wichtiges Anliegen“, betont Mark Becker, gemeinsam mit seinem Cousin Nils Geschäftsführer des Traditionsunternehmens Gebrüder Becker. Der von der Arbeitsagentur im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes finanziell geförderte Kurs hat für den Handwerks- und Dienstleistungsbetrieb Pilotcharakter. „Sprache ist der wesentliche Schlüssel zur Integration“, bezieht Mark Becker Position. Aus seiner Sicht besteht insgesamt gesehen ein Nachholbedarf, wenn es darum geht, Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund und auch Geflüchtete, die den Weg in die Unternehmen gefunden haben, in ihrer Sprachfähigkeit gezielt zu fördern. Daher wünscht er sich, dass das Beispiel dieses Kurses auch über das eigene Unternehmen hinaus Schule macht.
Dieses Anliegen unterstreichen Alexandra Kersting und Hendrik Witt von der Agentur für Arbeit, mit denen Mark Becker konstruktiv zusammenarbeitet. „Wir könnten uns vorstellen, dass Sprachkurse wie dieser die Teilnehmer, die zumeist nach dem deutschen Bildungssystem ungelernte Arbeitskräfte sind, zu einer Umschulung oder einer Teilqualifikation mit Prüfung vor der Handwerkskammer ermutigen“, formulierte Hendrik Witt ein Fernziel. Eine solche Teilqualifikation sei, so Alexandra Kersting, auch für ältere Arbeitskräfte attraktiv, die Hemmungen vor einer Umschulung haben. Mark Becker sieht in diesem Ausbildungsbaustein im Sinne der Flexibilisierung einen Weg, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Der Bildungsgang dürfe jedoch nicht die Qualitätsstandards etwa des Gesellenbriefs verwässern. Hier gelte es, mit den berufsständischen Organisationen Handwerkskammer und IHK sowie mit den berufsbildenden Schulen im engen Austausch zu bleiben.
Ins Gespräch gekommen ist der Firmenchef zwei Wochen nach Kursbeginn mit den Sprachschülern aus seinem Unternehmen. Sie erzählten ihm hochmotiviert von ihren ersten Fortschritten und kündigten an, auch nach Unterrichtsschluss Vokabeln zu lernen. Im Arbeitsalltag wird dann die praktisch erworbene Sprachkompetenz zur Routine. „In diesem Sinne ist dieses Kursmodell ein hoffnungsvoller Ansatz, der uns nach vorne bringen wird“, ist Mark Becker überzeugt.
Foto: Gebr. Becker GmbH & Co. KG